Ein anderes Thalwingen
23. Septembre 1023 n.M.Z.R.
Auch wenn fünf Tage seitdem vergangen sind, der Schrecken sitzt den Männern und Frauen noch in den Knochen. Der Anblick ehemaliger Kameraden, die auf den rauchenden Trümmern der Burg Rebhain den langsamen, kantigen Gang der Wiedergänger gehen, noch in verdrecktem rot und weiss gekleidet. Jeder ging anders damit um.
Der Komtur Arcturus Varus von Lauenbach gab den Marschbefehl nach Thalwingen und paarte dies mit einer Ansprache: „Verzagt nicht. Ich sehe eure Gesichter, ich spüre euer Entsetzen und ich spüre eure Wut. Nutzt letztere: Ich befehle den Marsch an das Nordufer des Thaler Sees entlang bis nach Thalwingen. Wir marschieren zum Herz des Reiches und werden von dort aus die notwendigen Pläne schmieden, um unser Land zu befreien. Verzagt nicht!“
Die Ansprache hatte nicht den gewünschten Effekt. Wenngleich eine Meuterei nicht absehbar war, war Brundalls offene Kritik an den Komtur vor einigen Tagen nur die Spitze des Eisbergs. Die Männer und Frauen schwelgten in düsteren Gedanken.
Auch Thorius Einsatz half der Moral nur wenig: Er absolvierte mit einem Einsatztrupp „Operation Schlangenkäfig“ und säuberte den Heimattempel Rovennas. Wenngleich zerstört und verheert, konnten einige Zivilisten und eine Priesterin gerettet werden – doch das Gros der Überlebenden war verloren, von der Ghulseuche und dem vergifteten Lauenbacher Cuveé verdammt.
Die Feuerlanze samt Freunden zog weiter Richtung Norden, den idyllischen Thaler See entlang. Der Alchemist Alessandro stieß wieder dazu, doch auch er besaß kein Wundermittel für die Finsternis in den Herzen der einst so stolzen Feuerlanze.
Nachdem die Feuerlanze wieder bei Tagesanbruch etliche Stunden marschiert war, wanderte die Kolonne endlich über eine Anhöhe am Uferstreifen: Thalwingen. Das Juwel des Fürstentums und Lauenbach. Fürstensitz und zugleich Sitz seiner markgräflichen Durchlaucht, Arcturus‘ Vater. Zu normalen Zeiten eine strahlende Verheißung. Gepflegte, teils bunte teils helle Fassaden, reich verziert mit Mosaiken, Malereien und Ornamenten zieren die Straßen und Hafenpromenaden. Herrenhäuser, liebevoll ins Stadtbild integrierte Anwesen mit kleinen Gärten, deren Zypressen und alte Feigenbäume in die Höhe ragen, imposante Zwillingstempel mit runden Kuppeln und natürlich – der Fürstenpalast. Ein Märchenschloss voller Türme, Erker – und mehr Türmchen. Die Fahnen von Viranes und Lauenbach wehen tapfer in einem Wind, der von dichtem Rauch zersetzt ist. Leichenberge türmen sich auf den großen Plätzen, deren Säulengänge, Basiliken und Alleen aus der Ferne nur schwer aufgrund des dichten Leichenfeuers entdeckt werden können.
Die Kampfhandlungen vor den Toren der Stadt dauern an: Einzelne Wiedergänger kommen unkoordiniert den Mauern zu nahe, die die Stadt erst vor einigen Monaten überarbeitet und befestigt hatte. Auf den Türmen der Stadt drohen Triböke, Windlanzen und anderes Verteidigungsgerät den Feinden der schönen Welt. Wenngleich die schweren Geschütze schweigen, werfen Gardisten und Bauernsoldaten schwere Steine von den Mauern auf die angesammelten Wiedergänger herab. Sie sparen offenkundig ihre Bolzen und Pfeile – oder haben keine mehr.
Arcturus schweigt. Nach einer kurzen Zeit, in der er stoisch von der Anhöhe aus schaute, zeigte er auf eine unbeeindruckende Stelle an der Mauer, vor der sich nur wenige Untote befanden. „Dort befindet sich ein versteckt eingelassenes Ausfalltor. Die Thalwinger Männer werden es uns öffnen. Leutnant Darius, Korporal Thorius: Wir werden uns noch bis auf zweihundert Schritt der Mauer mit einem gebogenen Marsch nähern. Dann einen großen Eberkeil bilden. Wir gehen im Laufschritt rein. Die schützenswerten Personengruppen in die Mitte. Einen defensiven Streifen aus der Nachhut bilden, der uns abschirmt, während die Spitze des Keils die Stadt betritt. Ausführung!“
Nachdem man sich der Stadt angenähert hat, greift der Befehl: Der Leutnant, sonst dieser Tage stark in Gedanken bläfft und bellt in Routine. Thorius unterstützt ihn mit Kräften. Es ist für sie ungewohnt die überlebenden Feuerlanzler zusätzlich mit zu koordinieren, auch wenn die rund 40 Mann gerade eine willkommene Verstärkung bilden. Dann setzt sich schließlich die Formation in Laufschritt und hält auf die Stadt zu – die aufsteigenden Krähen und Aasfresser steigen vor dem Eberkeil auf, wie die Gischt vor dem Bug eines schnellen Schiffes. Der Boden ist uneben und gibt teils fleischlich seufzende, teils knackende Geräusche von sich. Mancher ist konzentriert beim Befehl, mancher konzentriert sich nicht nach unten zu schauen – und mancher verliert die Farbe im Gesicht. Doch alle marschieren, über den Ergebnissen der Kämpfen der letzten Tage hinweg. Immer mehr langsame Wiedergänger werden von dem Keil im vorbeigehen zerhauen. Manch einer bricht in persönlichem Frust und eigener Wut aus und hält sich mit einzelnen Wiedergängern auf – doch Thorius und Darius brüllen Sie zur Räson. Am Tor angekommen wird das Banner des Komturs geschwenkt, und ein beinahe unsichtbar eingelassener Spalt in der starken Mauer weitet sich und gibt den Weg in die Stadt frei. Im Laufschritt rennt der schmale Keil in die Sicherheit der Stadt, während die Nachhut die untoten Nachzügler zerschlägt und mit Schilden abwehrt.
In der Stadt angekommen, das schwere Tor ins Schloss knallend und mehrere stählerne Riegel knarzend, gibt sich das Bild einer Stadt, die einst der Höhepunkt des süßen Lebens gewesen sein muss: Bunte Girlanden hängen traurig von den kunstvollen Lampenposten, Handkarren und Geschäftsstände sind verwüstet und weisen dunkelrote Sprenkel auf, wo einst die Angebote des Tages offeriert wurden. Ein Korb mit Blumen und Blüten wurde hastig fallengelassen, die regen Farben nun welk und von dunklen Spritzern besudelt. Die Fensterscheiben der unzähligen Kontore, Banken und Edelhandwerker an einer der Hauptstraßen der Stadt wirken dunkel oder sind zersplittert.
Ein schwer gerüsteter Offizier im rot-blauen Wappenrock, mit einer Kopfwunde versehrt und verbunden, tritt auf Arcturus zu und kniet nieder: „Euer Durchlaucht, mein Lauenbacher Herz schlägt freudig euch wohlauf zu sehen. Wir nehmen an, die übrigen Schwingen und Lanzen der Feuerlanze kommen sobald nach?“ Arcturus schweigt und räuspert sich. Der Offizier fährt fort: „Ich verstehe euer Gnaden. Wir werden euren Truppen ein Lager in der zentralen Wachgarnison in der Stadt bereiten.“ „Wir wünschen mit unseren getreusten unseren Vater und die fürstliche Majestät zu sprechen.“ „Sehr wohl euer Gnaden. Sie befinden sich mit dem Kriegsstab im Ratssaal in der fürstlichen Residenz.“ „Danke Leutnant, das wäre alles.“ Arcturus wendete sich der Feuerlanze zu: „Meine Knappen und Novizen, Marie… und Thorius zu mir. Wir gehen zum Fürstenpalast zum Kriegsrat.“ Darius begann, wie von einem natürlichen Reflex begleitet, die genannte Delegation zu begleiten. Arcturus blickte ihn an: „Leutnant Darius. Ihr begleitet die Männer und Frauen in die zentrale Wachgarnison der Stadt.“ Darius unterdrückte seine Wut, doch war er scharfsinnig und verständig genug zu verstehen, dass die ungeklärte Dunkelheit in ihm ein bleibendes Risiko darstellte, dem Arcturus mit weisem Kalkül begegnen musste.
So zog die Feuerlanze durch das befleckte Juwel der süßen, freien Welt, erschrocken und erschaudert von den Schatten, die die letzten Tage auf die Hauptstadt geworfen haben und begleitet von dem stechenden Geruch der verbrennenden Leichenhaufen, die von traurigen Bürgern mit Halstüchern vor dem Mund bestückt und geschürt werden.
Die Delegation, angeführt von Arcturus, ging zügigen Schrittes durch die verfinsterten Straßen der einst lichten Stadt. Wenngleich einige der Köpfe von Thorius, Josef, Lucius, Georg, Levi, Theophania und Marie Gedanken enthielten, die sich nach Rast und Essen verzehrten, spürten alle die Anspannung in ihrem Herrn und Kommandanten Arcturus. Es gab keine Zeit zu verlieren.
Sie folgten einer einst prächtigen und bunten Promenade, die sich an einem Kanal des Thalsees entlang in die Stadt schlängelte. Viele Amtsadelige, fürstliche Gäste und Diplomaten hatten hier ihre Herrenhäuser, und so mancher aufstrebende Händler versuchte sich mit einer übermächtig verzierten Hausfassade in die Gesellschaft der Adeligen und Mächtigen einzuschmeicheln. Vergoldetes Stuckwerk, das durch den Rauch von Scheiterhaufen und Leichenbergen blitzt – welch ein Sinnbild für diese Stadt dieser Tage. Eine Rotte von schwer bewaffneten Söldnern kam den Feuerlanzlern im Eilschritt entgegen. Sie trugen ein Banner des Hauses Leuengolds, ihres Soldherren. Lucius Sigismund nickte den Söldner anerkennend zu „Seht mein Herr! Söldnerjungs des Hauses Leuengold! Wieder ein Beweis für die Nützlichkeit und den Pragmatismus meines Vaters!“.
Bei einem Anwesen blieb die Gemeinschaft stehen: Krater im Straßenpflaster zeugten von Magieeinsatz bei einem verheerenden Gefecht. Das Gusseiserne Gatter vor der Hochstromer Botschaft wurde offenkundig mit einem Pferdegespann herausgerissen und die einst prächtige Elfenresidenz gestürmt. Kaum eine Stelle an zertrampelten Rasen, gekiestem Hofweg und gepflastertem Bürgersteig vor der Botschaft, die nicht von dunkelrotem Blut und anderen Körpersekreten durchtränkt war. Wenngleich die Leichen bereits entfernt wurden, sind die Hinweise auf das Gemetzel, von dem der fürstliche Bote vor einigen Tagen berichtete deutlich erkennbar. Arcturus setzte seinen zügigen Gang fort.
Die Gemeinschaft stand nun vor einer reich verzierten, steinernen Brücke. Mehrere Wachen der Fürstengarde, schwer gerüstet und hoch diszipliniert, hielten Wache. Sie stampften mit ihren Speeren auf den Boden, um dem Sohn Lauenbachs ihren Gruß zu entbieten und formten ein Spalier. Die Brücke überquerend, bot sich den Besuchern Thalwingens ein besonderer Anblick: Am Ende der Brücke thronte eine Hügelkuppe, von einem komplex gestalteten Schloss voller Türme und Erker geschmückt. Die reich verzierten Ornamente der Fassade, die leuchtenden Dachschindeln und die kunstvoll gestalteten großen Fensterfronten blitzten in der Sonne, die sich ihren Weg durch die einzelnen Rauchschwaden der Stadt bahnte. Unterhalb des Fürstenpalastes, am kreisförmigen Kanal zu Fuße des Hügels, setzte sich das Bild der prachtvollen Promenade fort. Dann ging die makellos gepflasterte Straße spiralförmig hinauf, bis zum Fürstenschloss.
Dort oben angekommen stand ein Herr in irre bunter Kleidung und einem überirdisch großen Hut, geziert mit bunten Straußenfedern: „Euer Durchlaucht, wir haben die Ehre eures Besuches. Der fürstliche Hofstaat frohlockt über eure Gesundheit. Der fürstliche Kriegsrat ist bereits zusammengekommen. Ich nehme an, ich darf euch zum Saal geleiten und eure Diener zum Gesindequartier eskortieren lassen?“ „Nein Bartholomäus. Sie begleiten mich.“ „Wie euer Gnaden wünschen. Hier entlang bitte.“
Der Kämmerer, Arcturus ein wohlvertrauter Edeldiener der Residenz, geleitete die Gesandtschaft durch prachtvolle Gärten voller Rosen, Oleander, Primeln und anderer prachtvoller Blütenkönige. Sie durchschritten die zentrale Palastpforte und fanden sich in einem großen Atrium wieder, von dem diverse Wege ebenerdig und über gewundene Treppen und hohe Galerien zu anderen Bereichen des Schlosses führten. Bartholomäus folgend und unzählige reichhaltige Kunstobjekte, Statuetten und Gemälde passierend, betraten die Feuerlanzler schließlich einen riesigen runden Saal: Seine Wände waren von dunklem Holz getafelt und kunstvolle Malereien und Fresken schmückten die gigantische Decke. Der Boden bestand aus einem kunstvollen und ansprechenden Muster von verschiedenen Marmorsorten – aber nicht so geschmacklos und unnötig komplex, als dass einem schlecht werden würde beim Hinsehen. In der Mitte des Saals stand ein großer Holztisch, zum Erstaunen einiger, komplett rund. Ihnen gegenüber stand am Tisch der Fürst, unschwer an seiner Fürstenkrone erkennbar. Fürst Maximilian Corbinian Nathaniel Ortwein Widugard von Viranes zu Thalwingen war alt, aber rüstig. Er trug einen goldenen Kürass, der unter den schweren, hermelingesäumten Brokatroben hervorschaute, und ein prächtiges Schwertgehänge an der Seite. In der Hand hielt er einen Zeigestab mit einem flachen Rechen vorne dran – und lehnte sich nach vorne und schob damit einige Figuren über die Karte, die auf dem runden Tisch ruhte. Die kunstvoll gearbeiteten Statuetten auf der Kriegskarte reflektierten sich in seinen wachen, stahlblauen Augen. Neben ihm stand ein weiterer Edelmann: Der Markgraf. Eine Krone trug er gerade nicht, aber einen reich verzierten Kürass. Es war nicht letzteres, das ihn als Ludwig Ortwein von Lauenbach zu Thalwingen verriet, es war seine vertraute Nähe zum Fürsten, den eigentlich eine Aureole des respektvollen Abstands umgab, die niemand außer der Fürstenfamilie und der Familie Lauenbach durchdringen durfte. Der Markgraf war von mittlerem Alter und damit etwas jünger als sein Souverän. Grüne, tiefe Augen verbargen sich unter buschigen Augenbrauen und tiefen Sorgenfalten, von den letzten Tagen gestärkt. Graue Schläfen verstärkten den Eindruck eines sorgengeplagten, stolzen Mannes.
Reihum befand sich der ganze hohe Hofstaat und Amtsadel um seine fürstliche Hoheit: Der Reichsmarschall, ein alter Haudegen mit Schmissen, beeindruckendem Schnauzer und tiefen Augenringen, der Truchsess, ein bunter Gecke, der der große Bruder von Bartholomäus sein könnte, älter und mit einem Hut von noch beachtlicherer Imposanz, der Hofmeister, ebenfalls modisch gekleidet jedoch mit einem gestrengen Blick, als ob er jüngst eine blanke Zitrone verspeist hätte, der Reichskanzler, in eine rote, offene Robe gekleidet und noch weitere Berater des hohen Hofstaates wie der Reichssiegelbewahrer, der Reichsankläger und der fürstliche Mundschenk.
Arcturus schritt hallenden Schrittes bis auf einige Schritte an die Tafel heran, sodann kniete er nieder und senkte sein Haupt. Die anderen Feuerlanzler taten es ihm gleich. Der Fürst hob seinen Block und gebot Arcturus mit einer Handbewegung sich zu erheben: „Du bist endlich da Arcturus. Sehr gut. Komm zu uns. Deine Knappen… sie sind vertrauenswürdig?“ „Ja eure Majestät.“ „Gut. Ich wünsche sie vielleicht später vorgestellt zu bekommen. Bis dahin dürfen Sie sich in zweite Reihe aufhalten.“ Arcturus gebot seinem Gefolge sich in zweiter Publikumsreihe um den großen Tisch herum zu platzieren, versetzt hinter den Amtsadeligen. Auf dem Tisch lag eine riesige, prächtige Karte von Moris Luna. Viele Figuren und Markierungsscheiben lagen auf der Karte an verschiedenen Orten verteilt. Während die Feuerlanzler die Karte betrachteten, ging Arcturus zu seinem Vater, kniete erst kurz nieder, erhob sich dann und umarmte ihn. Dann durfte Arcturus sich neben seinen Vater an den Tisch stellen. Der Markgraf Ludwig fuhr fort: „Wie vom Marschall beschrieben: Thalwingen ist gesichert. Es gibt einige Herrenhäuser in denen wir untote Arbeiter vermuten. Die fürstliche Garde ist aber in wenigen Tagen fertig, die Häuser zu durchkämmen. Die Außenmauern halten. Der Riss in der Stadtmauer, die der Staatsmagier Elohain zu Anfang sprengte, konnte verbarrikadiert werden. Einem feindlichen Heer würden wir nicht standhalten – den derzeit herrenlosen Ghulen aber schon. Aber dennoch frisst der Zustrom an Wiedergängern an unseren Kräften: In der Nähe von Thalwingen gibt es ein großes Gehöft mit einer angeschlossenen Mine, aus der unzählige Untote herbeiströmen. Dort gab es etliche verurteilte Strafarbeitet.“ Der Fürst nickte. „Gut. Die Verstärkung der Feuerlanze ist uns willkommen. Wir nehmen an unsere Botschaft hat euch in Rebhain erreicht und hergerufen? Wieviele Mann wird das Regiment Feuerlanze in den Krieg führen? 500?“ Der Saal schwieg einen Moment. Dann antwortete Arcturus „Rund 80. Der Erstschlag Hochstroms hat uns schwer getroffen. Ich muss berichten mein Fürst, dass die Burg Rebhain gefallen ist. Nur Wenige konnte ich retten. Vergebt mir mein… Versagen.“ Stille im Saal. Ludwig schaute seinen Sohn sorgenvoll an, und legte ihm eine Hand auf die Schulter „80 der Besten Arcturus. 80 der Besten.“
Der Fürst fuhr konzentriert und gefasst fort „Was habt ihr uns sonst zu berichten Arcturus?“ „Der Zwillingsorden hat in meinem Namen den Krieg gegen Hochstrom ausgerufen. Ihr könnt euch unserer Unterstützung gewiss sein. Um weitere Unterstützungstruppen werde ich meinen Ersten Paladin Sir Wilhelm von Silberhaven bitten. Weiterhin haben wir einige Erkenntnisse gewonnen, die ich kurz wiedergeben möchte:
Während wir auf dem Manöverplatz von Rebhain waren, versuchte ein Elfenkommando mich als Geisel zu nehmen und gegen Amalia und Enya Goldglanz einzutauschen. Sie scheiterten. Beide sind in Sicherheit.
Weiterhin haben wir den Staatsmagier ausgeschaltet, der Virra geschliffen hat. Dabei brachten wir einige Kriegsstrategien des Feindes in Erfahrung: Die Staatsmagier verfluchen Quellen und magische Kraftlinien des Landes, wodurch das zugehörige Land verfault, stirbt und den Nährboden für dunkle Nekromantie bildet. Wir konnten eine Quelle bereits reinigen und wissen, wie es geht. Die Kriegshexen sind dabei eine große Hilfe.
Weiterhin haben wir zwei Elfen von Mithariels Hofstaat Asyl gewährt,“ einige im Saal schnaubten hörbar, „Tuviniel Haléth, den fürstlichen Mundschenk der Fürstregentin und Zindithas Lun Virwarin, einen elfischen Gelehrten. Ersterer half uns zu verstehen, dass Mithariel über eine Winzerei bei Passin vergifteten Wein über Viranes verteilt, der mit einem Gift die Trinkenden tötet, und über verderbte Zauberei die Toten als wütende Wiedergänger auferstehen lässt. Das zugehörige Weingut heißt Telmine.“ Der fürstliche Mundschenke horchte bei Tuviniels Name merklich auf, aber sog dann beim „vergifteten Wein“ hörbar die Luft durch die Nüstern ein. „Telmine… eine Weingut, das Wein von nur mittelprächtiger Qualität verspricht, geringem Ruf und einer hohen Produktionszahl – sehr gewieft von der Fürstregentin, sehr gewieft. Perfide.“
Arcturus fuhr fort: „Der Forscher Zindithas berichtete, dass Mithariel daran arbeiten lässt, Talândors Fluch waffenfähig zu machen. Sie scheint zu planen unser ganzes Land dem Untergang zu weihen – dem nach würde kein Kind je Volljährig werden sondern kurz vorher qualvoll sterben.“ Wieder Stille im Saal. Alle fassten sich.
„Außerdem wurde in Lunagorn in Hochstrom ein Putsch durch menschliche Sklaven inszeniert, die angeblich durch Viranische Befehle gelenkt wurden. Mithariel nutze diese Unruhen um ihre politischen Gegner in Lunagorn zu ergreifen, so auch Tuviniel, der dereinst Amalia und Enya aus Lunagorn herausgeschmuggelt hatte.“ Der Fürst und der Reichskanzler warfen sich seltsame Blicke zu, aber Arcturus fuhr fort:
„Wir haben weitere Informationen, meine Herren: In Bärenfelde steigt die Anzahl der Staatsmagier und der Untoten. Wenn ich raten müsste würde ich sagen, Mithariel versucht den Bären in Geiselhaft zu nehmen und still damit zu drohen, was uns widerfahren ist. Ein Bär an der Leine und in die richtige Richtung angestachelt, könnte unser Verderben bedeuten.“ „Ja, das deckt sich mit unseren Berichten.“ Sagte der Marschall kurz und soldatisch. Arcturus sprach: „Die Meisterin Circe von Kleist der Kriegshexengilde kann den Gildensitz in Langspitz nicht mehr magisch erreichen. Über die Bedeutung dessen können wir nur spekulieren.“ „Das ist nicht gut.“ Sagte der Siegelbewahrer, ein Gelehrter und Wissender, der an der Gründung der derzeit im Bau befindlichen Thalwinger Universität beteiligt war, „ohne die Kriegshexen, können wir gewiss nicht die vergifteten Kraftlinien im Land reinigen – Ihr müsst wissen Arcturus, dass diverse Kraftlinien im Land verflucht wurden. Unsere Ernten faulen unter unseren Händen hinweg und die Untoten jubeln.“ „Ich verstehe, danke Exzellenz. Ich wäre nun erfreut eurerseits Informationen über das Kriegsgeschehen zu haben.“ Der Fürst starrte auf die Karte, löste sich nach kurzer Zeit und berichtete:
„Während Mithariels Untote unser Land zeitgleich in der Breite angriffen, wurde eine Invasion von unserer Westgrenze aus gestartet. Im Norden war es das Staatsheer Hochstroms, Elfenkrieger und menschliche Sklavenheere unter rotem Banner. Im Südlichen Invasionsabschnitt Söldnerheere. Unsere Berichte deuten auf Bärenfelder Söldnerheere hin oder sogar, im schlimmsten Fall, das Bärenfelder Reichsheer. Leider erhalten wir keine Informationen dazu von unserem Botschafter aus Trutzwacht. Wir können mit Sicherheit sagen, dass die Städte und Ortschaften an der Westgrenze gefallen sind.“ Er deutete mit seinem Schieber auf Brückeck, Thalonfurt und Passin. „Thalwingen, Gorblick, Langspitz, Kreuzfelden und Plauenstein sind entweder umkämpft oder belagert. Ersteren beiden geht es unseren Informationen nach verhältnismäßig gut. Virra und Rebhain können wir nun aber auch zu den gefallenen Städten zählen.“ Der Marschall ergänzte seinen Fürsten „Das Perverse an der feindlichen Kriegstaktik ist, dass ein Sieg des Feindes nicht nur einen Sieg bedeutet – er wiegt doppelt. Mit jeder geschliffenen Stadt erhält der Feind automatisch mehr Untotes Material, was die eigenen Reihen auffüllt. Die Kriegsmaschine des Feindes ernährt sich selbst, braucht kein Wasser, keinen Sold, keine Grütze und keinen Schlaf. Was schlagt ihr als Führer der Feuerlanze und Paladin vor, Arcturus?“ Die Augen des Komturs blitzen feurig. „Gut. Der Feind hat an mehreren Stellen zugeschlagen. Also müssen wir auch an mehreren Orten tätig werden. Die Feuerlanze ist zu klein, als dass wir alles zugleich tun könnten, aber wenn wir weise unsere Missionsziele wählen, sollten wir Schritt für Schritt zur Besserung des Kriegsgeschicks beitragen. Zuerst werden wir von der Feuerlanze bei der Sicherung der Hauptstadt helfen: Wir werden bei der Reinigung der Stadtviertel helfen sowie in einer Exkursion die Untotenquelle im Vorland von Thalwingen säubern. Danach stehen uns diverse Optionen zur Wahl.
Wir könnten strategisch essenzielle Kraftlinien im Land reinigen. Dazu müssten wir aber erst die Hilfe der Kriegshexen aus Langspitz sicherstellen, die derzeit nicht auf die magische Kommunikation ihrer Schwestern antworten – warum auch immer.
Wir müssen mit einem Geheimkommando in Lunagorn Mithariels Pläne zu Talândors Fluch vereiteln. Wir müssen das Weingut Telmine bei Passin im Feindesland untersuchen und die Weinlieferungen ins Land stoppen.
Wir müssen Fürst Gundred III von Bärenfelde für uns gewinnen und herausfinden, was ihn dazu bewegt, sich in den dichteren Dunstkreis von Hochstroms Nekromantie zu bewegen. Vorbereitend dazu, habe ich meinen besten Offizier, einen gebürtigen Bärenfelder mit relevanten Kontakten in seine Heimat geschickt um Verbindungen aufzubauen und bei Bedarf die Keimzelle für einen Widerstand zu bilden.
Wir müssen unsere Städte zurückerobern, sowie Burg Rebhain und zuvor den Landesgenossen helfen, die derzeit noch belagert werden…“ Ein Bote schreitet im Laufschritt in den Saal. Er tritt an den Tisch „Eine dringende Kriegsnachricht aus dem Reichslehen Unterwaldbach, eure Majestät.“ Der Fürst zeigt mit einer Handgeste seine Zustimmung an. „Freiherr Arnulf Westerdorf von Unterwaldbach ruft um Hilfe. Unterwaldbach wurde von Untoten eingekreist und braucht dringend Hilfe. Wenn Ihnen nicht geholfen wird, werden Sie überrannt werden.“ Etwas Farbe wich aus Arcturus Gesicht. Nun legte ihm sein Vater den Arm um die Schulter. „Ich weiß mein Sohn. Aber wir müssen nun stark sein. Stärker als sonst. Stelle deine Gefühle hinten an, ich bitte dich.“ Arcturus nickte geistesabwesend. „Nun gut… wir von der Feuerlanze werden beginnen uns mit der Säuberung Thalwingens und des Umlandes zu beschäftigen. Die weiteren Aktionspunkte werde ich die kommenden Wochen mit meinem Führungsstab besprechen und mit euch unsere nächsten Maßnahmen abstimmen. Ich werde darüber hinaus diverse Bekannte und Bundesgenossen um Hilfe bitten. Wie von euch gewünscht Majestät, werde ich dazu auch einige Veranstaltungen dazu nächstes Jahr besuchen. Was immer eure Majestät verlangt.“ Arcturus verbeugte sich ehrlich und verbarg dabei halbelegant seinen Schock, der bei der Nachricht von Unterwaldbach auf sein Gesicht stieg.
Während die meisten der Feuerlanze über Arcturus Reaktion rätselten oder die Kriegskarten mitsamt ihrer Figürchen studierten, rätselte Thorius: „Unterwaldbach“. Woher kennt er diesen Begriff? Er hat das doch schonmal gehört, wo er doch Arcturus seit Ewigkeiten kennt. Selbiger riss ihn aber aus seinen Gedanken, als er zu seinem Vater und dem Fürsten sagte: „Eure Majestät, es wäre mir eine Ehre euch meine Knappen und Novizen, sowie meine Diplomatin und einen unserer… leitenden Offiziere, den Paladinknappen von Sir Wilhelm, später bei einer Audienz vorstellen zu dürfen. Für dich Vater: Ich habe Kontakte zum Händler Jakob Giovanni aus dem Hause Leuengold, dessen Sohn in meinen Diensten steht.“ Er zeigte beiläufig auf Lucius. Dieser straffte sich und zeigte seine astreinen Zähne, als würde er für ein Portrait Modell stehen. „Er könnte mit seiner Söldnerschaft einen wichtigen Faktor im Krieg ausmachen. Ich würde dich bitten, eine Audienz die kommenden Tage für ihn zu arrangieren.“ Der Markgraf überlegte kurz ernst, musterte Arcturus‘ Blick, seufzte und sprach: „Sehr wohl. Bartholomäus wird die Audienz bei mir arrangieren. Setze mich vorher ins Bilde, wo ihr bei euren Gesprächen bisher steht – unter vier Augen.“ Setzte er hinzu und warf dem Strahlemann Lucius einen kritischen Blick zu.
Der Fürst Maximilian löste die Runde auf „Meine Herren. Wir danken für den täglichen Kriegsrat. Die Sitzung ist beschlossen. Bartholomäus, führe Arcturus und seine Gesandtschaft in den mittleren Audienzsaal. Lass Erfrischungen auftischen. Wir werden sie alsbald dort empfangen.“