Überraschung in Rebhain

Prolog

Genbalar Lun Aeven war genervt. Wie dreist ihn aus dem eroberten Virra, nur wenige Wochen nach dem überragenden Sieg beim großen Erstschlagmanöver, zu sich nach Festung Rebhain zitiert zu werden – von Kollegen. Eigentlich müsste er dem ja nicht Folge leisten. Er könnte es sich weiterhin in der Residenz zu Virra bequem machen und die Annehmlichkeiten des Sieges auskosten. Die Lauenbacher wissen wirklich, wie Genussleben geht.
Ja, er müsste doch eigentlich wirklich nicht gehen. Erst recht nicht, weil ja schon im Septembre seine anderen vier Sozii, mit denen er Virra im Überraschungsangriff genommen hatte, nach Rebhain abkommandiert wurden – mitsamt einer beachtlichen Zahl an Wiedergängern wohlbemerkt. Wozu brauchen sie in Rebhain, dieser kleinen Festung des mickrigen Zwillingsordens insgesamt sieben Staatsmagier und eine so hohe Aufstockung des Wiedergängerheeres?

Am zweiten Tag seiner Reise durch das Gebiet von Virra und durch Rebhain, verließ Genbalar mit seiner Wiedergängereskorte den Rebhainer Wald. Das Licht der Mittagssonne blendete ihn, und seine untoten Lakaien seufzten ob des gleißenden Lichtes. Genbalar schirmte sich, auf seinem Pferd sitzend die Augen vor der Sonne ab. Vor ihm präsentierte sich eine weite Kahlfläche im Rebhainer Wald, auf dessen Hügel die Festung Rebhain thronte. Sein unsterbliches Pferd wieherte, und ein Schnauben erklang aus seinen halb verwesten Nüstern. Von Norden kommend blickte er auf die Rückseite der Burg, auf hohe Mauern, deren Nordseite drei stattliche runde Wehrtürme aufwiesen. Unterhalb der Anhöhe, schlenderte das Heer der Untoten in wirren Kreisen und Strudeln durch das ehemals grüne Land, wie ein Haufen von Maden auf einem Kadaver.

Genbalar trieb sein Pferd an und wechselte in den Trab. Die Untoten prallten gegen das Brustbein der Stute wie das Meer gegen den Schiffsbug. Er streckte seine Hand aus und ergriff die Kontrolle über die Untoten: Ein Knistern ging durch die Luft und ein dunkler Schatten breitete sich aus. Die Luft roch nach Ozon. Plötzlich bildeten die Untoten entlang des Trampelpfades unterhalb der Burg ein Spalier und gaben den Weg für Ihren Herrn frei.

Die Burg umrundend bemerkte Genbalar schwere Mauerschäden an der Nordwestmauer: Hier muss Elazumin wohl bei seinem Angriff auf die Festung die Mauer mit dem Zauber „Morzeiros Donnerschlag“ durchbrochen haben. Sehr beeindruckend für einen Kollegen so niederer Abstammung, dem sogar ein Sechzehntel Menschblut in seinem Stammbaum nachgesagt wird. Genbalar schüttelte sich. Widerwärtig.

Er holte sich selbst aus seinen Gedanken und ritt ein paar Serpentinen entlang hoch zum Exerzierplatz, der sich als rechteckige erhobene Freifläche, von niedrigen mauern gesäumt, vor dem Haupttor an der Südmauer der Burg entfaltet. Von der ehemaligen Funktion des Platzes ist wenig übrig: Ein Leichenberg von stark verwesten Kadavern thront an der Ecke vorne rechts, unterhalb der Südmauer. Rund 40 Schritt davon entfernt steht ein Pavillon mit einem improvisierten Lager, in dem drei Bekannte Gesichter sitzen und geschäftig eine Weinkaraffe leeren. Die Elfen waren von blassem Teint und trugen rote Magierroben mit schwarzen und violetten Akzenten.
„Ceádmil a choobraichean grádhach! Wie ich sehe habt ihr Virra scheinbar nur verlassen um hier weitere Weinvorräte zu vernichten?“ Die drei blickten auf. „…Ceádmil Genbalar! Wir sind erfreut, dich hier zu wissen.“ Genbalar zeigte auf den Leichenberg. „Seid ihr noch nicht fertig mit den Auferstehungsriten? Der Befehl des Marschalls besagte eindeutig, dass bis Mitte Octobre die Untotenverstärkung aus Virra und Rebhain nach Thalw…“ „Wir wissen, was der Marschall und die Reichssiegelbewahrerin befahlen. Danke Genbalar. Pause muss sein. Wir sind bald fertig. Unserer Zählung nach sind hier in Rebhain gerade rund 4700 Wiedergänger einsatzbereit. Wenn wir die 5000 die kommenden Tage erreicht haben ziehen wir los. Willst du einen Rosé?“ „Nein danke Eldithas. Ich ziehe es vor mich direkt beim alten Elazumin zu melden, der mich zu sich gerufen hat. Wo ist er?“ „Ah. Es geht gewiss um den Portalstein, ja? Reite durch das Haupttor in den Innenhof, und dann scharf rechts die opulente Treppe hinauf und dann in den Keller.“

Genbalar bahnte sich erneut seinen Platz über den Exerzierplatz, der wie das ganze Umfeld der Burg von Untoten überfüllt ist. Es war wie der Rummelplatz eines überlaufenen Festplatzes – nur waren die Gäste noch primitiver und übelriechender als auf einer Kirmes.

Über eine gemauerte Brücke mit mehreren Torbögen ritt er in die Innenburg, durch das offenstehende Tor. Auch im Innenhof der Burg sind Untote, aber immerhin konnte man sich hier noch etwas frei bewegen. Ihm fiel auf, dass die Burg entgegen seiner ersten Vermutung keinen rechteckigen Grundriss hatte, sondern einen fünfeckigen: Die Südostmauer wies eine Ecke mit einem breiten, stumpfen Winkel auf, gekürt von einem hohen runden Wehrturm, wie alle anderen Burgflanken sonst auch. Genbalar stieg vom Pferd ab und schritt die imposante Treppe zum stattlichen Herrenhaus hinauf. In der Eingangshalle angekommen folgte er wie angewiesen einer Treppe in das Untergeschoss. Er bewunderte die Auswirkungen des Massakers vor einigen Wochen: Blutige Handabdrücke an den Wänden. Dunkle Flecken und Schleifspuren auf den Böden. Zerschnittene oder heruntergerissene Wandbehänge. Das Gemetzel muss beachtlich gewesen sein. Er kam nicht umhin die Effizienz von Elazumin zu bewundern, obgleich er ihn seit deren Studium an Lunagorn als großen Widersacher ansah, was gewiss auf Gegenseitigkeit beruhte. Umso beachtlicher ist es, dass der große Elazumin die Hilfe von ihm brauchte, um einen Portalstein zu untersuchen oder zu manipulieren.

Genbalar durchschritt noch einige Korridore und Räume, die offenkundig als Sicherungsposten zum Portalraum dienten. Er bemerkte massive Eichentüren die magisch zerschmettert wurden und die schräg in den Angeln hingen und Schutzrunen am Boden, deren Fallenzauber entweder ausgelöst oder gebrochen wurden. Genbalar musterte die Spuren der Erschließung dieses gesicherten Bereiches. Sein Blick glitt die Wände hoch. Er versuchte sich auszumalen wieviele gefangene Gardisten der Feuerlanze hier in die Fallenrunen als Opfer getrieben wurden und wie vieler Menschen Blutspritzer die hohe gotische Decke zierten.

Er löste sich von dem befriedigenden Anblick und betrat den Portalraum: Der Raum hatte einen sechseckigen Grundriss. Einige gerüstete Untote waren als Wachen an den Wänden postiert. Auf der gegenüberliegenden Wand ist ein großer, metallener Rundbogen in die Wand eingelassen, von Runen und angrenzenden Kreidelinien reichhaltig verziert. In der Mitte des Raums befand sich eine Stele, vor der drei Elfenmagier in Roben stehen und wild debattieren.

„Ceádmil werte Kollegen. Magister Vanan, Magister Adalar… und Magister Elazumin. Ihr habt mich höflich in euren Debattierkreis gebeten und ich bin begierig darauf zu erfahren, warum ich Virra verlassen sollte?“ Die drei drehten sich um. Die Reaktionen vielen sehr unterschiedlich auf, obgleich alle natürlich die typische Lunagorner-Kühle aufwiesen, war Elazumins Reaktion eindeutig die kälteste: „Welch besonders Vergnügen, meinen geschätzten, ehemaligen Kommilitonen um Rat fragen zu dürfen. Ceádmil Magister Genbalar. Von allen Staatsmagiern unseres Jahrgangs ist dein Verständnis von Schutzzaubern förmlich legendär. Wir wären für deine Expertise dankbar.“ Genbalar lächelte erhaben, und schritt geduldig zur Stele. Auf dieser lag ein Stein. Seine Form war nicht auszumachen, da er blendend hell strahlte, sowie man versuchte ihn anzusehen. Obgleich er gleißend hell schien bei direkter Betrachtung, war er keine Lichtquelle im herkömmlichen Sinne, da der Raum lediglich über einige Feuerschalen am Rand und einen großen stählernen Kronleuchter an der Decke beleuchtet wurde. Um den Sockel, in dem der Stein eingefasst war, leuchteten verschiedene Kraftlinien, Sigillen und Runen. Genbalar zog aus seiner Umhängetasche eine Art Fernrohr, eine linear angeordnete Konstellation verschiedener geschliffener Edelsteinlinsen, deren Abstände man mit kleinen Messingrädchen entlang einiger filigraner Messingachsen einstellen konnte. Er hielt es sich vor sein Auge und murmelte vor sich hin.
Nach wenigen Augenblicken, in denen Genbalar die Autorität seines Schweigens ausgekostet hatte, wagte der genervte Elazumin ein Räuspern. „… und?“ „Ich schätze in drei Tagen müsste ich die Schutzzauber gebrochen oder umgangen haben. Dann könnt ihr den Portalstein analysieren, nutzen, korrumpieren… was immer euch auch vorschwebt.“ „Ausgezeichnet. Wann fängst du damit an die ersten der Schutzzauber zu…“ Ein magisches Dröhnen riss die Magier aus dem Gespräch. Die Magier spürten starke magische Schwingen von dem metallenen Rundbogen ausgehen. Einzelne Runen und Linien fingen an auf dem Portalbogen weiß aufzuleuchten. Magister Vanan schrie: „Jemand will von außen in den Portalraum eindringen. Das ist keiner von uns! Adalar, schirme den Portalbogen vor dem Knüpfen des astralen Bandes ab!“ Der Staatsmagier war schon längst dabei, der Situation Herr zu werden. Er zückte einen großen Messingbeschlagenen Folianten mit schwarzem Einband, der an einer Kette um seinen Oberkörper hing, schlug schnell eine Seite im Wälzer auf und begann zu skandieren „Dèan an còigeamh sgiath bunait bho bhith a ‚ceangal a‘ cheangail ris an àite seo…“ die Luft schien zu knistern und magische Wogen stoben radial aus dem magischen Buch, hin zum metallenen Bogen. Weitere Runen aktivierten sich dort. „Verdammt Adalar, es funktioniert nicht – das Band ist bereits geknüpft, sie aktivieren bereits die Pforte!“ Der Magier mit dem Folianten blätterte hektisch weiter zu einer anderen Seite und fuhr fort, noch lauter und energischer: „…Tha mi nam thighearna agus na mhaighstir air na gaothan draoidheil agus bidh mi a’ togail balla de neart is cumhachd timcheall an àite seo agus ga dhìon mar mhaighstir nan gaothan…“ Violette Blitze schossen aus dem Buch Richtung Rundbogen, doch schienen diese kurz vor dem Auftreffen dort umgelenkt zu werden – hin zu einigen der Runen auf der Stele, wo die Blitzarme verpufften in kleinen Rauchwolken. „Meine Herren, mehr Kraft!“ Mit geübter Routine griffen alle vier Magier in ihre Roben und zogen je einen Dolch. Mit einer Selbstverständlichkeit schnitten sich die Magier in eine ihrer Hände und träufelten das Blut in das Buch des rezitierenden Adalars. Schwarzrote Rauchschwaden stiegen vom Folianten auf, bis empor zur Lagerdecke, emittierten Schreie, die nicht für sterbliche Ohren bestimmt waren und bildeten fantastische Formen und Gebilde. Die einst violetten Blitze färbten sich rot, und ein Crescendo des Donners grollte im Raum. Die roten Blitzschläge schlugen Risse in die Substanz der Stele, und einzelne Runen auf ihr verblassten sterbend. Genbalar blickte zum Rundbogen, und die Zeit schien langsamer zu laufen, als er beobachtete, wie die letzte Portalrune am Bogen aufleuchtete: Ein irisierender Strudel aus Licht und Strömen erschien im Rundbogen und bildete ein großes Portal, rund fünf Schritt hoch und breit. Erschrocken blickten die Magier vom Folianten auf, hin zum geöffneten Tor und verharrten. Sie waren wie versteinert. Nach einem Augenblick zuckte der irre Strudel der magischen Passage und gab etwas frei. Die Staatsmagier hörte ein freudiges Quieken – sahen aber niemanden. Genbalar stupste seine Kollegen mit dem Ellenbogen an und deutete abwärts, zum Fuß des Portals. Dort stand eine Ratte mit einem Halsband und blickte die Magier mit neugierigen Knopfaugen an.

Vorhang auf

25. Octobre 1023 nach mittelländischer Zeitrechnung – Nordlande

Obgleich es ein langes Kellergewölbe war mit rechteckigem Grundriss, einhundert Schritt lang, war es hell erleuchtet. Unzählige Fackeln, Laternen und Leuchten brachten helles Licht in das Portalgewölbe unterhalb des Haupthauses der Abtei. Alles andere wäre ja auch sehr ironisch für den Orden der Wächter des heiligen Lichtes.

“Vier Paladine. Zwei Kleriker. Drei Magier. Je drei Paladin-Adepten und -Novizen. Vier Heiler. Als Rückgrat 80 ausgebildete Ordenskrieger, wovon 50 Veteranen des Namael-Krieges sind. Und als Sahnehäubchen: Ein übelst schlechtgelaunter Zwerg mit einem verdammt großen Hammer.“

Der Erzprior Castus von der Wackenburg nickte bestätigend ob der Schilderung des Hochmeisters, der rechts neben ihm stand. Die Hochinquisitorin Tialar von Arliaf, links neben Castus stehend, ergänzte stoisch: „…und der Willen des göttlichen Lichtes der Schöpfung begleitet uns ebenfalls!… und ‚Shadow‘.“ Ergänzte Sie mit einem Lächeln. Die drei musterten die Linienformation der Offiziere und führenden Mitglieder des Ordens, die vor der heiligen Hochinquisitorin, dem Erzprior und dem Hochmeister Andras Vaillant von Arilaf Aufstellung genommen haben, um den letzten Worten der Einsatzleitung zu lauschen, bevor es losging. Hinter der Linienformation marschierte eine Marschformation von rund 80 schwer gerüsteten Ordenskriegern auf. Das rhythmische Klirren von Stahl und das Poltern von schweren Stiefeln dröhnte durch den ganzen Leib. Castus nickte Andras zu, mit einem kleinen Zwinkern: Natürlich sollte Andras nochmal den Plan erläutern und das ganze mit Motivierenden Worten eines Paladins würzen. Andras nahm seinen Schwingen bewehrten Helm ab und trat einen Schritt vor, schlenderte nach schräg links zum Beginn der Linie. Dort stand Lucian, Erster Paladin des Ordens, in seiner prächtigen Rüstung. Andras räusperte sich leicht und begann: „Brüder. Schwester. Heute ist ein Tag der Loyalität und der Treue. Wir bekräftigen die edlen Bande, die wir zum Orden der Zwillinge und zu seinem Regiment Feuerlanze im fernen Fürstentum Viranes geschlossen haben…“ Andras schlenderte nach rechts, die Linie entlang, und warf einen Seitenblick auf die Paladine Gabriel und Thoranel von Arilaf. Thoranel zuppelte an seiner neuen Paladinrüstung noch etwas herum und richtete noch einige drückende Falten am Rüstwams unter dem Kürass, was er hastig unterbrach, als der Hochmeister ihn passierte. „… Der Befehl lautet: Nach einer Aufklärung der Lage durch Inquisitor Grimbold von Tyr, werden wir den Portalstein zu unseren Alliierten aktivieren und gefechtsbereit das Portal durchschreiten. Es ist anzunehmen, dass wir Feindesland betreten werden. Die feindliche Stellung ist zu erobern und die Lage dann neu zu bewerten.“  Andras schritt nun an den herausstechendsten Persönlichkeiten des Ordens vorbei: Erst am Templer Bruder Wendenoth und dann am renommierten Magier Inquisitor Grimbold von Tyr, der ein kleines Kästchen in den Händen hielt, über dem ein blickdichtes schwarzes Samttuch lag. Neben Grimbold stand ein Tierwesen mit dem Namen Yoldas, den man als magisch begabten Waschbär annähernd beschreiben könnte. Yoldas schnüffelte verstohlen in Richtung des Kästchens in den Händen Grimbolds und lächelte verschmitzt. „Wir rechnen als Feindkontakt mit niederen Untoten und vereinzelt deren kontrollierenden Nekromanten. Es sind auch Kontakte zu höheren Untoten wie Todesrittern denkbar oder feindlichen elfischen Soldaten aus dem verfeindeten Fürstentum Hochstrom.“ Branwen, Rhoran, Benoit, Mariella, Benedikt und Ciaran haben sich als Paladinadepten und -Novizen ebenfalls soweit gerüstet, wie es ihrem Status entspricht. Ein freudiger Anblick für Andras als Hochmeister. Als nächstes folgte der Unteroffizier Waibel Ludwig der Ordensgarnison. Andras fokussierte sich auf taktische Hinweise: „Wir gehen voraussichtlich in einer Marschformation zu vier Gliedern durch das Portal rein. Das Marschtempo sollte von denjenigen, die den Durchgang passiert haben mindestens beibehalten werden, da die Hintermänner weitermarschieren werden. Sollte Feindkontakt hinter dem Portal bestehen, müssen die Frontkämpfer eine Schneise schlagen ohne zu Halten. Es sind koordinieret Ausfälle auf Prioritätsziele wie feindliche Nekromanten denkbar. Gibt es Fragen?“  Er stand am Ende der Linie und erblickte das schöne Gesicht der Vogtin Amadrya, diesmal nicht in vorteilhaftem Kleid gewandet, sondern in einer robusten Heilerkleidung mit hohen Stiefeln, Wams und ihrem üblichem Barrett. Sein Blick wanderte weiter nach rechts – und dann etwas abwärts. Dort stand Grimnir, dessen Gesicht noch mehr als seinen üblichen Grimm zeigte, eingerahmt in Hüllen aus Stahl und einen enormen Kriegshammer in der Hand haltend.

Die Paladine und Grimnir bildeten die Front der Marschformation. Sie standen einige Schritt vor dem großen Rundbogen, versehen mit Runen und Zeichen. Diese leuchteten auf, aktiviert vom rezitierenden und gestikulierenden Magier Grimbold, der den Portalstein des Ordens in den Händen hielt und emporreckte. Yoldas und Tialar standen ein paar Meter entfernt neben ihm und hielten das ominöse Kästchen mit dem Samttuch. Ein lauter Knall verdrängter Luft schallte im brachialem Echo durch das Gewölbe und die gerüsteten Kämpfer dankten still ihrem schützendem Helm. Ein Strudel aus leuchtenden Strömen bildete sich im Rundbogen und gab den Weg zum fernen Land frei. Grimbold, den kostbaren Portalstein haltend, machte Platz für Yoldas, der das Samttuch lüftete: Das Kästchen war gar keines, sondern ein kleiner Käfig, und in ihm war eine Ratte mit einem runenverzierten Halsband. „Shadow“ stand darauf. Yoldas öffnete den Käfig, Tialar streichelte die Ratte zum Gruss und flüsterte ihr etwas zu. Auf dem Halsband leuchtete eine befestigte Rune schwach grün auf, und zeitgleich zeigten Tialars Augen einen grünen Schimmer. Andras stellte sich zu den beiden. „Bereit?“ Tialar nickte. Tialar hob die Ratte sanft auf den Steinboden. Diese quiekte freudig und hüpfte motiviert auf das Portal zu und verschwand in der strudelnden Passage.

Tialar begann kurz darauf zu erzählen: „Vier elfische Magier in der Mitte eines großen sechseckigen Raumes. Rund 30 niedere Untote an den Wänden. Sie befehlen den Untoten sich vor dem Portal zu positionieren… einer der Magier fixiert mich und gestikuliert… ein Angriffszauber… Shadow, ausweichen!“ Andras nickte den beiden zu und drehte sich zu der Frontlinie der Marschordnung zu: „30 Wiedergänge und vier Staatsmagier im Raum hinter dem Portal. Im Laufschritt – Marsch! Zum Angriff! Für das Licht!“ Andras reihte sich in die Frontlinie ein und die klirrende, silberne Formation wogte auf das Portal zu. Hinter ihm hörte er ein nervöses Schlucken und Hüsteln: Ullrich, der Gardist der Feuerlanze, der ihnen dereinst die Nachricht vom viranischen Krieg brachte. Er soll nun der Fremdenführer sein, so wie ihr Weg sie in die Ordensfestung der Feuerlanze führen möge. Thoranel sollte ihm vor dem Einsatz nochmal Mut zusprechen, den der schwer geschockte Gardist nach dem Bericht der Grausamkeit in seiner Heimat dringend gebraucht hatte. Nun war seine Chance, seine Ordensbrüder zu rächen. Doch erstmal musste der nervöse Ullrich die Portalreise überstehen.

Die Veteranen kannten sowas wie Portalreisen. Aber nicht die Neulinge. Farbige Ströme schmettern auf den eigenen Verstand und man fühlt sich in einem rotierenden Wirbel versetzt. Der Körper schreit, als ob man einmal zerlegt und wieder zusammengesetzt wird, und ein Augenblick fühlt sich für manchen so an wie ein Menschenalter.

Die Paladine und zähen Hände der Frontlinien verließen den Strudel der Magie zuerst und erblickten einen sechseckigen hohen, großen Raum. Ihnen eilten rund 30 Untote in Rüstung entgegen, in stummem Kieferknarzen brüllend und magisch zischend. Lucian bellte zum Angriff – eine Motivation die die Frontkämpfer nicht brauchten: Mit grimmiger Miene und wildem Kampfschrei schnitt die Marschformation stets geradeaus voran – stetig zu auf die Stele in der Raummitte und vier Staatsmagier, die Zaubersprüche skandierten und wild mit Händen und Dolchen in der Hand gestikulierten. Andras schrie „Formation mittig spalten an der Stele! Die Magier umkreisen! Castus, Paladine: Auf die Magier!“ Der silberne Block teilte sich mittig kurz vor der magischen Stele und schlängelte sich in zwei Marschordnungen um die Stele und die Nekromanten herum. Castus, Lucian, Gabriel, Andras und Thoranel stürmten eng an der Stele vorbei auf die Staatsmagier zu. Castus beschwor einen Segen des Lichtes und Thoranel schleuderte eine Schwertlanze zu dem rechten der vier Magier hin und traf ihn in der linken Schulter. Der Magier wurde von der Wucht schräglinks einige Meter mit einer Drehung zu Boden geschleudert. Kurz danach beendete der links-mittlere der vier Magier eine Beschwörung und reckte die offene Hand gen Decke: Eine blaue Kuppel bildete sich um die drei Magier, den weggeschleuderten jedoch, konnte vom Durchmesser der Sphäre nicht mehr erreicht werden. Die Kämpfer des Lichts schlugen vehement auf die Kuppel, die aber standhielt. Der linke der Magier entfesselte einen Angriffszauber – ein roter Blitz fuhr aus der Barriere hinaus und schlängelte sich durch die Angreifer vor der Barriere. Bei allen blitzte eine dünner weißer Schutzschild knapp über deren Rüstung auf und zerbrach in Scherben aus Licht. Der mittlere Magier bellte den rechten Magier an: „Fosgail portal gu Lunagorn Vanan, gu sgiobalta!“ Thoranel übersetzte frei: „Die wollen ein Portal nach Lunagorn öffnen!“

Die zwei Formationen hatten den Raum gestürmt und wehrten die untote Feindmasse nach außen hin ab. Dies gelang den Ordenskämpfern mit dem Überraschungsmoment recht mühelos. Grimnir bemerkte an der Frontspitze einen der Staatsmagier, der sich die linke Schulter hielt und aus dem Raum rennen wollte. Der Zwerg setzte zum Spurt an und verließ die Spitze der rechten Marschformation und preschte voran. Der Magier blickte erschrocken über die linke Schulter, und drehte sich überraschend um: Er ergriff einen zufällig dort schlurfenden Wiedergänger am Kopf und skandierte eine Zauberformel. Die Augen des Untoten leuchteten violett auf, und schwarze Schattenschwaden stiegen von dem toten Soldaten auf. Grimnir holte zum Schlag aus und beschloss in einer kurzen Entscheidung auf den Untoten mit seinem Hammer zu schmettern, doch gerade als sein horizontaler Schwung den Wiedergänger treffen sollte, zerfiel der Untote in einem violetten Gleißen zu schwarzem Staub und einer roten, wabernden, flüssigen Kugel. Der Hammer flog durch den Waberball hindurch, der danach aber wieder problemlos seine Form annahm. Die Kugel schießt in die verletzte Schulter des Staatsmagier und füllte die Schulterwunde auf. Mit dem linken Arm und dem Ritualdolch in der linken, stach der Magier in einer großen Bewegung zu Boden, auf den Fuß des Zwergen zu – doch verfehlte er scheinbar den gepanzerten Stiefel des Zwergen um eine Elle. „Ha!“ blaffte der Zwerg, und erstarrte sodann: Eine grüne Schwade schlängelte vom Dolch, der in der Steinfliesenfuge steckte hin zum Zwerg und lähmte diesen an Ort und Stelle. Der Staatsmagier wand sich wieder nach vorne und rannte durch den Eingang zum Portalraum davon. Tialar von Arilaf erkannte das Dilemma des Zwergen, eilte nach vorne und rief das Licht an: Ihre Augen strahlten hell und von ihren Handflächen stieß eine Woge radial nach vorne und zerstörte den Lähmungszauber des Nekromanten.

„Schützt mich!“ Bellte Castus seinen Paladinen zu und positionierte sich hinter ihnen. Während die Paladine den Angriffszauber des linken Staatsmagiers versuchten mit Schutzliturgien oder ihren blanken Schilden standzuhalten, sammelte Castus seine Kräfte. Er formte mit einem Gebet einen gleisenden Speer aus Licht und schleuderte diesen mit aller Kraft auf die blaue Barriere. Risse breiteten sich aus auf der Oberfläche der Sphäre, und die Kugel barst mit einem lauten Knall. Die Woge riss Thoranel und Gabriel von den Beinen und warf diese nach hinten. Castus, Lucian und Andras waren ihrer Erfahrung sei Dank auf die Druckwelle gefasst. Letzterer machte einen Ausfallschritt zum mittleren Schutzmagier hin, der nun vermeintlich Schutzlos sei: Zu spät bemerkte Andras eine Fallenrune, auf die er mit seinem gepanzerten Stiefel trat. Eine Fontäne aus Eis spie aus der blau aufleuchtenden Fallenrune wie ein Geysir des Winters und hüllte Andras in Eiskristalle und seine Bewegungen kamen zum gefrorenen Stillstand. Lucian derweil hieb auf den Staatsmagier rechts ein, der schon im Begriff war, ein Reiseportal aufzuziehen. Der unfertige Zauber verpuffte mit einem elektrischen Knirschen und der Nekromant schrie, während sein Blut durch den Raum in einer Fontäne flog. Castus nahm sich den linken vor, die linke ausgestreckt zu einem Zauberschutzschild und den Flammenstrahl des linken Staatsmagiers abwehrend. Gabriel derweil raffte sich auf, und lief im Laufschritt in einem Bogen links an den beiden vorbei und hieb voll auf die ungeschützte Seite des angreifenden Zauberers drein. Thoranel indes schrie aus Frust, raffte sich auf, konzentrierte sich – und rannte auf den vereisten Andras los: Mit elfischer Gewandtheit nutzte er Andras gebeugtes Bein bis hoch seine Schulter aus Sprungbrett und sprang, das Schwert gezückt, auf den mittleren Staatsmagier zu: Er stieß sein Schwert so tief in seine Brust, dass sich sogar das Parier in der Brust des Nekromanten eindrückte. Thoranels linke Kniekacheln landete mit einem befriedigenden Knirschen in der Leiste des Staatsmagiers und so riss er ihn mit einem fatalen Stich zu Boden in den Tod. Erst dann bemerkten die Paladine die Wunden, die sie nach dem Bruch ihrer klerikalen Zauberrüstung durch die Blitzzauber des Nekromanten erlitten, und Schmerz flutete ihren Körper. Schmerz den es zu ignorieren galt.

Grimbold und Yoldas eilten mit der Nachhut an Heilern hinzu und schmolzen den Eiszauber um Andras Leib mit geübter Hand. Lucian übernahm derweil für Andras, blickte sich um und suchte Waibel Ludwig, den er heranrief. „Bericht!“ „Einige Verletzte. Keine Toten. Ein Staatsmagier konnte entkommen. Eine Linie aus Todesrittern hält den Durchgang zum nächsten Raum.“ Lucian blickte über die Männer vorweg nach vorne und sah mehrere schwer gepanzerte Hünen. Aus deren schwarzen Vollhelmen leuchten eisblaue Augen in einem magischen Schimmer. Castus trat an Lucian heran „Tialar und ich werden eine Schneise schlagen – ihr und die Veteranen brecht danach durch!“

Tialar und Castus drängten sich durch die aufgestauten Ordenssoldaten nach vorne bis in die zweite Reihe, vor dem Angesicht der Todesritter. Nebeneinanderstehend beteten sie gemein zum Licht. In einem klerikalen Crescendo wuchs in ihren Händen ein strahlendes Licht, das sie in einem gigantischen Lichtblitz zu den Untoten hin entfesselten. Die Todesritter stießen einen unterirdischen Schrei aus: Mehr Einladung brauchten Grimnir, zwei der Paladine die nach vorne kamen und die anderen Veteranen aus der ersten Reihe nicht um mit einem beherzten Sturmangriff nach vorne zu preschen und die Todesritter anzugreifen. Es entbrannte im Raum dahinter ein Gemetzel, bei dem die Todesritter einzeln lange, obgleich von Veteranen umzingelt, standhielten und einige Leben einforderten mit dunklem Schwert und finsterer Schattenmagie – doch am Ende konnten auch sie gefällt werden. Amadrya und drei Mönche haben derweil neben dem Portal ein Lazarett improvisiert und verzeichneten einen hohen Andrang von Verletzten, sowie den ersten Toten. Eidschwester Franziska, die Novizen und Adepten trugen immer mehr Verwundete herbei. So verstummte der Kriegslärm von der vordersten Reihe und dem Vorraum und verlagerte sich ins Lazarett in der Form von Schmerzensschreien und einigem Wehklagen.

Andras derweil, wieder im Kommando, sammelte die Führungsleute des Ordens und den Gardisten Ullrich im Vorraum um sich. Auf seine Frage hin bestätigte Ullrich „Ja Hochmeister. Dies ist die Ordensfestung Rebhain. Wir sind…“ er stockte und blickte auf die Kadaver der Untoten und der Todesritter, deren Kleidung bei genauem Hinsehen unter all dem Blut und Schmutz rot-weiß zu sein schien, „…Zuhause.“ Etwas Farbe wich aus seinem Gesicht. Andras packte Ullrich an den Schultern „Ullrich, höre mir jetzt gut zu: Wir werden nun die Hauptstreitmacht in den Burghof führen und diesen einnehmen. Du musst derweil eine kleine Schocktruppe durch die Innenräume, Türme und Mauern der Burg führen, damit wir auch hier die Festung von den Untoten reinigen können. Schaffst du das…?“ Ullrich nickte apathisch. Andras nickte, und drehte sich wieder zur Führungsriege hin: „Gut. Lucian, du wirst als erster Paladin die Eroberung des oberen Burghofs anführen. So wie ich Ullrich verstanden habe vorhin befinden wir uns im Keller unter dem Haupthaus. Ihr werdet nach einigen Räumen den Keller nach oben hin verlassen, die Eingangshalle des Haupthauses stürmen und den Burghof mit silberner Gewalt fluten. Versucht sodann möglichst schnell das Haupttor einzunehmen und zu schließen. Ullrich hat Grimnir dazu den Standort der Torwinde beschrieben.“ „Verstanden Andras.“ „Ich nehme derweil Thoranel, Castus, Grimbold und Thoranel mit, sowie 10 Veteranen für den Schocktrupp. Die Hochinquisitorin, Yoldas, Bruder Wendenoth, Gabriel und Grimnir bleiben mit der Hauptstreitmacht unter deinem Kommando. Fragen? Gut – Los geht’s!“

Es muss ein seltsamer Anblick gewesen sein, als die silberne Flut aus dem Keller aufstieg, erst die Haupthalle des Haupthauses flutete und sich sodann aus der hohen Tür, die prächtigen Stufen hinab in den Burghof ergoss: Die über zweihundert Untoten hatten zusammen mit dem geschwächten Staatsmagier und einigen Todesrittern Lucian und seiner Einheit nichts entgegen zu setzen. Andras säuberte derweil die Räumlichkeiten der Festungsanlage im Laufschritt. Sie gingen die gesamte Festung gegen den Uhrzeigersinn ab. Turm für Turm. Raum für Raum. Trotz schwerer Rüstung, ewigen Treppen und harten Kämpfen scheuten sie keinen Aufstieg und keinen Kampf. Ja, einige Todesritter hielten sie auf und forderten einige Leben der begleitenden Veteranen – aber das Licht obsiegte am Ende. Während Andras mit seinen Leuten nach der Reinigung des letzten Turmes an westlicher Ecklage neben dem Haupttor auf einen Balkon am Turm erschien und Lucian im Burghof unter ihm siegreich zuwinkte, schlug Grimnir mit seinem Hammer auf den störrischen, verklemmten Mechanismus der Torwinde: Das Fallgatter fügte sich dem zwergischen Feingefühl und raste mit einem mächtigen Donnern zu Boden und begrub dabei etliche Untote, die noch vom Exerzierplatz hoch in den Burghof geströmt kamen. Die Frontlinie aus Kämpfern vor dem schützenden Tor atmete auf. „Sieg!“ brüllte Lucian „Für das Licht! Für die heilige Tialar! Vivat! Vivat! Vivat!“. Das letzte Vivat war noch nicht im Echo der Ordenskrieger beantwortet, da strömten durch den Mauerdurchbruch im Nordwesten bereits neue Untote in die Festung.

Einige Augenblicke später hielt eine Fronteinheit aus Veteranen und Paladinen den Engpass beim Durchbruch. Vor dem Haupthaus bei den Treppenstufen tagte das Kommando des Ordens und im ehemaligen Feldscherquartier in der Burg haben sich die Heiler zu einem neuen Feldlazarett organisiert. Vor dem Lazarett stand eine Warteschlangen von humpelnden und ächzenden Soldaten. Novizen und Adepten trugen Paarweise Körper ihrer Ordensbrüder und Schwester hinein und auch hinaus – manche ausgehenden Körper waren mit einem einst weißen Leinentuch bedeckt.

„Wir haben folgende Situation.“ Begann Andras in der Führungsrunde. „Wir haben nach jetzigem Kenntnisstand die Festung von rund 400 niederen Untoten, 10 Todesrittern und vier Staatsmagiern gesäubert. Wir haben rund 20 Ordenskrieger verloren, davon mindestens zwei Veteranen. Auch einige von uns haben einige ordentliche Treffer kassiert, aber nichts was uns handlungsunfähig macht. Die obere Festung haben wir erfolgreich eingenommen. Ich habe vom westlichen Eckturm der Feste das Umland gesichtet und muss feststellen: Wir sind umzingelt. Die Masse ist schwer abzuschätzen… ich schätze aber wir reden von rund 4000 niederen Untoten, die um die gesamte Festung umherwanken.“ Grimnir grunzte. Andras fuhr unbeirrt fort: „Direkt unterhalb des Haupttors befindet sich der große Exerzierplatz der Feuerlanze. In der diagonal uns gegenüberliegenden Ecke steht ein Zeltpavillon, dort habe ich mindestens drei Robenträger gesichtet…“ „Staatsmagier?“ fragte Thoranel vorpreschend. „Das ist anzunehmen, insbesondere da ein relevanter Anteil der Untoten vor den Festungsmauern noch koordiniert vorgeht, während die restlichen Untoten koordinationslos umher schlurfen, wenn ich das vom Turm aus richtig gedeutet habe.“ Gabriel übernahm die Schilderung: „Den Mauerdurchbruch könnten wir unmöglich befestigen. Improvisierte Barrikaden wurden stets nach kurzer Zeit wieder eingerissen. Die Krieger dort lasse ich regelmäßig durchroutieren, um die Kräfte der Brüder und Schwestern zu schonen – aber irgendwann wird es unser aller Kräfte aufzehren, wenn nicht bis dahin einer der Staatsmagier koordiniert durchbricht…!“ Alle schwiegen einen Moment nachdenklich. Dann zog Lucian ein Fazit: „Ich sehe drei grundlegende Möglichkeiten: Wir ziehen uns durch das Portal zurück. Wir halten den Engpass, bis der Feind aufgerieben wurde oder die Staatsmagier zu uns kommen. Oder wir wagen einen Ausfall durch das Haupttor und versuchen den Schlangen die drei Staatsmagierköpfe abzuschlagen. Danach sollte sich die Untotenarmee nach und nach ins Umland ziellos zerstreuen.“ Grimbold, Yoldas und Tialar stießen zu der Runde dazu: „Wir haben von einem der Türme aus versucht zu analysieren, wieviele kontrollierende Staatsmagier da draußen sind: Wir sind uns einig, dass wir drei verschiedene Zaubersignaturen feststellen können.“ Andras entschied nach kurzem Flüstern mit Castus, Tialar und Lucian „Gut. Wir wählen den Ausfall: Wir können den Portstein nicht gleichzeitig mitnehmen und durch Portal fliehen…“ Grimbold erhob schon den Finger um Andras mit magietheoretischen Korrekturen zu unterbrechen, Andras fuhr aber vehement fort, „… zumindest nicht ‚einfach so‘. Wir müssten also womöglich über Land reisen, quer durch die Mittellande bis zu unserem Kontinent. Andererseits würden wir dem Feind ein mächtiges Reisemittel überlassen… Wir können nicht zulassen, dass Hochstrom auch noch unsere Welt heimsucht. Wir werden mit Kellermann in der Heimat schon genug zu tun haben. In wochenlangen, zermürbenden Kämpfen können wir uns auch nicht verstricken lassen. Dafür fehlt uns die Mannstärke und die Mittel.
Deswegen der Ausfall: Die Heiler sollen über die Adepten und Novizen die vorbereiteten Stärkungstränke an die Veteranen, Paladine und Führungskräfte ausgeben lassen. Genannte werden in einem Sturmkeil aus dem Tor ausbrechen, uns quer über den Platz schlagen und die drei Staatsmagier fällen, solange die drei noch günstig an ein und demselben Platz ausharren und Ränke schmieden. Im Kern des Sturmkeils werden die Ordensbrüder mit den Armbrüsten versuchen die Magier mit ihren Bolzen zu beschäftigen. Tialar und Grimbold werden uns magischen Schutz bieten und unsere Kleriker unseren Rücken decken, und in unserem Fahrwasser die Untoten, die uns umgehen werden, mit silbernem Licht verbrennen. Eine zweite Angriffstruppe wird uns mit geringem Abstand folgen und hinter uns versuchen aufzuräumen. Die zweite Angriffstruppe aus den Regulären Streitkräften wird Ludwig befehlen. Möge das Licht mit uns sein.“

Das Tor öffnete sich mit einem Knarzen. Grimnir, die Paladine und einige Veteranen bildeten die erste Linie des Eberkeils. Nach einer zweiten Linie aus Veteranen mit Tialar und Grimbold an der Spitze, standen einige Ordensbrüder mit Armbrüsten, dahinter waren Castus und Bruder Wendenoth positioniert. Andras hob seine Waffe und schwang sie mit einem „Zum Angriff – Marsch!“ nach vorne. Wie eine Welle brach der Keil auf die stöhnende Masse an rot-weiß gekleideten Untoten hinein und spülte die ersten Linien des Feindes problemlos hinweg. Sie pflügten sich gewaltsam die gemauerte Steinbrücke entlang bis zum Beginn des Exerzierplatzes – den Pavillon der Staatsmagier quer über dem Platz in Sicht. Thoranel blinzelte, und seine Elfenaugen entdeckten tatsächlich die drei Magier: Der linke der drei Magier hatte die Arme seitlich ausgestreckte und schien einen Zauberspruch zu formulieren. Plötzlich fingen seine Augen an feurig zu leuchten, und ein gutes Dutzend an Untoten, direkt vor ihm, fielen in brennende Asche in sich zusammen. Er führte die Hände über den Kopf und eine dünne Flammensäule schoss in den Himmel, wo sich langsam eine dunkle Wolke formte. Der rechte der drei Magier stellte sich vor die Mauer des Exerzierplatzes und blickte auf den Serpentinenweg unter sich hinab. Auch er fing an zu skandieren, und seine Hände leuchteten in einem violetten Schein. Der Dritte positionierte sich mittig vor den beiden und erschuf einen ebenen Schutzschild. „Feuer frei zum Pavillon!“ brüllte Lucian zu den Armbrustschützen, die in leichtem ballistischen Bogen zu den Nekromanten hin feuerten – doch die Bolzen verglühten an dem gelben Schutzschild des mittleren Zauberers. „Duvelsheys! Beim Barte des… schneller!“ fluchte der Zwerg Grimnir und machte noch mehr Druck nach vorne. Der Keil schlug sich müßig weiter voran: Sein initiales Momentum kam zum Erliegen, und jeder Schritt wurde gegen die schiere Feindmasse müßig und schmerzvoll erkauft. Andras, unfähig sich nach hinten umzudrehen, hörte Schmerzensschreie von seinen Ordensbrüdern hinter ihm. „Weiter voran! Für das Licht!!!“ Schrie er aus voller Kehle. Nun konnten alle ihren Augen kaum trauen: Aus der Feuersäule des Nekromanten formte sich ein rotglühender Gewitterhimmel, der flüssiges Feuer auf die Kämpfer herabregnen ließ. Die Lava fraß sich durch die Schädel und Knochen der Untoten – aber auch durch die Rüstungen und Schilde der Krieger, die ihre Schilde gen Himmel hoben und ihre Flanken den Untoten aussetzten. Parallel den Feuerhimmel abwehrend und mit der Waffe die Schläge der Untoten parierend schrien die Ordensbrüder. Mit Entsetzen sahen einige geschockt der anderen dunklen Magie zu: Kreischende Schreie von den Serpentinen deuteten auf das Schicksal der dort befindlichen Untoten hin, die der rechte Staatsmagier für seinen grausigen Zauber opferte, und türkise Schlieren flogen von den Opfern hoch in die Luft, über den Exerzierplatz, und formten eine Masse, die langsam die Gestalt eines großen Golems aus gleisender Untoter Energie annahm.

Plötzlich schossen aus allen Ecken des Exerzierplatzes von den gefallenen Wiedergängern Waffen, Rüstungen und Schilde zu der Energiemasse hin und formten einen Stahlgolem, gespeist aus unheiliger Energie. Der Golem donnerte mit einem stählernen Klirren auf den Boden und zerquetschte dabei einige Wiedergänger. Langsam näherte er sich dem Eberkeil frontal. „Ein Draug! Ein unheiliger Schlachtfeldgolem!“ rief Grimbold von hinten. Tialar blickte sich derweil um und erkannte das vorherrschende strategische Problem des Feuerregens, der immer mehr der Ordensbrüder das Leben kostete. Ihre Augen strahlten in weißem Licht, und laut betend konzentrierte Sie einen Schutzschirm gen Himmel, der den Keil vor der feurigen Gefahr von oben bewahrte. Grimbold indes entschied sich, den unheiligen Externar zu bannen, und wühlte hektisch in seiner Umhängetasche, auf der Suche nach passenden Komponenten. Von Tialars Schild geschützt und ermutigt und brüllten die Paladine zum weiteren Sturm nach vorne, noch rund 30 Schritt von den Nekromanten entfernt. Die zweite Angriffslinie hörten sie hinter sich kämpfen und schreien, aber konnten durch die in weißem Licht verbrennende Maße an brennenden Untoten nicht sehen, denen von Castus und Wendenoth eingeheizt wurde. „Voran!!! Mehr Druck!!!“ Schrie Andras. Plötzlich rauschte ein magisches Geschoss aus Schatten und violettem Rauch knapp über seinem Kopf vorbei und traf jemandem hinter ihm, was er am Todesschrei erkannte. Der Magier rechts, mit der Beschwörung des Golems fertig, konzentrierte nun Schattengeschossen auf den Eberkeil. Tialar war noch mit der Abwehr des Feuerregens beschäftigt, und Grimbold blätterte furios in einem Zauberbuch und fing an mit Blick auf den Golem eine Bannformel zu skandieren: Sie waren diesen Geschossen schutzlos ausgesetzt. Thoranel blickte sich um, und die Welt wirkte wie verlangsamt. Der Golem schritt langsam auf sie zu, die niederen Untoten zerstampfend und holte schon zum ersten Schlag aus. Obgleich wenige der Untoten durch den Eigenbeschuss des Feuerregens eingeäschert wurden, waren einige der Skelette in Brand versetzt, und nun hieben feurige Waffen und höllische Totenschädel auf die wankenden Ordensbrüder ein. Sogar die Veteranen, durch Feuer und Treffer zermürbt, verloren den Mut und die Formation erhielt Lücken. Tialar biss die Zähne zusammen, mit dem Blick gen Himmel. Ein Schattengeschoss flog knapp an ihrem Kopf vorbei und traf einen der Armbrustschützen, der schrie und sich in Asche verwandelte. Grimbold stolperte über eine Leiche am Boden und verlor fast das Buch in seinen Händen. Während weißes Feuer aus den Händen von Castus auf die Untoten im Fahrwasser flammte, kam die heilige Flamme aus den Händen Bruder Wendenoths, schwer schwitzend und ausgelaugt, langsam zum Erliegen, wodurch sich die Untoten der rechten Rückseite des Eberkeils mehr annähern konnten.

In diesem Moment der Verzweiflung, besann sich Thoranel. Er erinnerte sich an seine Paladinweihe vor wenigen Wochen, in denen er Tränen des Glückes verlor. Er erinnerte sich an all die reine brüderliche Liebe, die ihn mit seinem Orden verband. Er erinnerte sich an all die Freundschaften, die ihn mit der Feuerlanze verbanden. Und plötzlich erschien ihm das Bild von Arcturus, des Komturs und Paladins der Feuerlanze, den er ebenso schätzte und als Freund respektierte – und Arcturus ergriff seine Hand und richtete ihn innerlich zu voller Größe auf. Er spürte, wie eine feurige Kraft des Kampfeswillens sein Herz erfüllte und wie geistige Präzision seinen Verstand beruhigte, und seine Sinne schärfte, so wie sich die Wogen eines aufgebauschten Teiches glätteten nach tosender Böe.

Thoranel rief das Licht an, mit allem Wunsch der Fürsorge und des Schutzes für seine Brüder und Schwestern, und eine kreisförmige Lichtwoge ging von Thoranel aus: Ein Segen des Mutes und des Kampfeswillens durchschoss die Streiter des Lichts, und sie fassten neuen Mut. „Voraaaaan!“ schrien die Paladine, duckten sich unter dem Schlag des Schlachtengolems hinweg, und hieben auf die unverwundbare Stahlmasse ein. Genau da passierte es, da Grimbold von derselben geistigen Klarheit wie Thoranel schöpfte, und seinen Bannspruch zuende sprach: Oberhalb des Golems öffnete sich ein blauer Spalt, der die stählerne Schutzschicht des Golems einsog. Rapide verlor der Golem seine eiserne Hülle und gab seinen leuchtenden Kern preis – der ebenfalls durch den Sphärenriss in eine andere Welt gesaugt wurde und sich mit einem implodierenden Knall schloss. Castus indes weitete seinen Schutzbereich auf den Bruder Wendenoths auf, bis dieser ebenfalls vom Segen beflügelt, wieder zur vorherigen Stärke fand und weiter den Feind mit gleisendem Licht verbrannte. Beim Pavillon angekommen, stürmten die Paladine und Grimnir mit wütendem Geschrei auf die verdatterten Staatsmagier zu: Während Andras und Thoranel den mittleren Magier fällt, der vor Schreck seinen Schutzschirm fallen ließ machten sich Gabriel und Lucian über den linken Magier her – wehrlos in seiner Trance für den Feuerregen den wuchtigen Treffern der Paladinen schutzlos ausgeliefert.  Grimnirs vertikaler Sturmschlag verwandelte den Kopf des rechten Magiers in einen roten Stumpf bei einem üblem Knochenknirschen.

Plötzlich änderte sich die Stimmung auf dem Kampfesplatz. Obgleich die Untoten mit Sichtkontakt weiter auf die Lebenden eindreschten, zeigten die weiter entfernten Wiedergänger keine koordinierten Bewegungen mehr, und wankten wie betrunkene Matrosen über den Exerzierplatz. „Für das Licht!“ brüllten die Paladine im Chor, und zusammen mit der aufschließenden zweiten Angriffstruppe konnte der ganze Exerzierplatz gesäubert werden und der Aufgang zum gemauerten Platz problemlos gegen die einzelnen untoten Streuner gehalten werden. Andras bemerkte einige Dokumente auf dem Tisch beim verheerten Staatsmagierzelt und steckte diese zur späteren Untersuchung in seinen Gürtel.

Einige Augenblicke später traf sich der Führungsstab erneut zur Lagebesprechung. Castus resümierte: „Der Feuerregen und die Schattenblitze, die Grimbold nicht mehr abwehren konnte, da er mit dem Bannzauber beschäftigt war, haben einen hohen Tribut gefordert. Wir haben weitere 20 Brüder und Schwestern verloren und haben eine enorme Menge an Verletzten. Die Heiler sind überfordert. Alle Heiltrankreserven sind aufgebraucht. Ullrich durchsucht zusammen mit den Novizen die Lagerbestände der Ordensfestung, ob da noch etwas an Heilmitteln zu holen ist. Die Untotenkadaver werden zum vorher bereits angehäuften Leichenberg der toten Feuerlanzler an der östlichen Ecke des Exerzierplatzes gebracht und dem reinigenden Feuer übergeben. Grimbold hat inzwischen bestätigt, dass am Portstein der Feuerlanze in der Portalkammer unten versucht wurde die Schutzzauber des Zwillingsordens zu brechen, wir aber wohl noch gerade rechtzeitig deren Versuche mit unserem Angriff unterbrochen haben. Unseren Aussichtsposten auf den Türmen nach verstreuen sich die Untoten tatsächlich unkoordiniert in die Wälder des Umlandes. Nur eine schmale Angriffslinie von Untoten kratzt sabbernd an der Festungsmauer, von unserem Lärm aus dem Burghof angezogen. Diese stellen aber keine ernstzunehmende Bedrohung dar. Dank dieser Feuerpause haben wir nun auch angefangen den Mauerdurchbruch wieder zu sichern: Einige Soldaten halten vor dem Durchbruch die Linie, während hinter ihnen die handwerklich begabten Ordensbrüder eine neue Mauer hochziehen aus Trümmersteinen. Sowie die Mauer hoch genug steht und der Mörtel trocken ist, können die Brüder über einen Lastenaufzug an der Nordwestlichen Festungsmauer in Sicherheit gebracht werden. Die Lage ist also derzeit weitestgehend unter Kontrolle.“

„Ich wünschte Arcturus hätte mit seinen Leuten hier sein können. Wenn sie uns doch nur gesehen hätten. Sie werden kaum Glauben zu hören, was hier passiert ist.“ „Arcturus war hier.“ Sagte Thoranel. „Ich bin mir sicher, er war bei mir im Herzen.“ Andras lächelte, und klopfte dem jungen Paladin auf die Schulter. „… Gewiss. Zusammen mit allen wunderbaren Freunden des Zwillingsordens. Ich bin mir sicher, deren Liebe hat uns durch diesen blutigen Tag begleitet.“

Die goldenen Augen des weißen Raben blinzelten zweimal. Er hatte genug gehört. Mit lautem Flügelschlagen erhob er sich von einem der romantischen Türmchen des Haupthauses und flog davon – Richtung Westen.